Den Arbeitsmarkt gestalten

Im Ruhrgebiet sei die Arbeitslosigkeit aufgrund der hohen Quote das Thema Nummer eins. Auch der Trend, dass Schulabgänger in anderen Regionen zwischen Ausbildungsplätzen wählen könnten, sei in Gelsenkirchen noch nicht angekommen. »Bei uns kommen zwei Bewerber auf eine Lehrstelle«, sagte Heike Gebhard während ihres Vortrags im Graf Bernhard. Ortsvereinsvorsitzender Heiko Hartleif wandte ein, dass die Ausbildungslage »nicht so komfortabel« sei und es auch »bei uns Warteschleifen« gebe.
Vor dem Hintergrund der älter werdenden Gesellschaft könne der Arbeitsmarkt in Deutschland auf niemanden verzichten. »Wir wollen kein Kind zurücklassen, weil wir es uns nicht leisten können. Alle menschlichen Ressourcen müssen wir erschließen«, betonte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag und meinte damit vor allem Migranten und Frauen.
»Bei vielen Jugendlichen ohne Schulabschluss steht jetzt schon fest, dass sie ein Leben lang Transferempfänger sein werden. Das kann die Gesellschaft finanziell gar nicht stemmen«, sagte die 58-Jährige und forderte noch mehr Einsatz bei frühkindlicher Bildung und beim Übergang von der Schule zum Beruf. »Wir müssen unsere demografischen Probleme im Land lösen. Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, funktioniert nicht. So attraktiv ist Deutschland trotz seiner Wirtschaftskraft nicht«, so die Expertin für Gesellschaftspolitik.
Als Mutter von vier Kindern unterstrich sie aus Erfahrung, dass die Kinderbetreuung ausgeweitet werden müsse, um mehr Frauen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen: »Minijobs sind eine Sackgasse. Viele Frauen sind qualifiziert und sollten entsprechend eingesetzt werden. CSU-Ideen wie das Betreuungsgeld laufen dem Bedarf und der Entwicklung zuwider.« Neben mehr Bildung und Betreuung sprach Heike Gebhard die »Humanisierung der Arbeitswelt« an, um die psychischen Belastungen als Krankheitsbild in den Griff zu bekommen.
Georg Fortmeier freute sich über die Einschätzung seiner Landtagskollegin, dass der Kreis Gütersloh eine gute Struktur habe. »Wir sind noch richtig stark. Spitzenunternehmen sorgen für die Spitzenstellung des Kreises Gütersloh in OWL«, sagte der SPD-Abgeordnete und sprach von annähernder Vollbeschäftigung: »Das gilt bei einer Arbeitslosenquote von vier Prozent. Nur knapp liegen wir hier darüber.« Obwohl es derzeit relativ gut laufe, müsse man jetzt die richtigen Entscheidungen treffen, damit der Arbeitsmarkt auch in Zukunft funktioniere und das Wohlstandsniveau einigermaßen gehalten werden könne.
Ina Bolte, Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, erklärte, dass demografische Prozesse wegen ihrer trägen Entwicklung langfristig steuerbar seien: »Das erfordert jetzt Lösungen und ein Umdenken im Hinblick auf ein längeres Erwerbsleben. Jahrzehntelang hat die Politik den Vorruhestand gefördert. Das ist so nicht mehr machbar.« Dem stimmte Heike Gebhard zu: »Wenn ältere Mitarbeiter herausgedrängt werden, verlieren Unternehmen wichtiges Erfahrungswissen.«

Westfalen-Blatt, 21.04.2012